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Mehr als 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges hat Wien seine Anziehungskraft für ausländische Geheimdienste nicht verloren. Laut Verfassungsschutz-Bericht 2013 „ist Österreich nach wie vor ein bedeutender Einsatzraum für fremde Nachrichtendienste und fungiert als logistischer Knotenpunkt“ und europäische Drehscheibe. Das sind Spekulationen. Doch Fakt ist: Die Zahl der an diplomatischen Vertretungen und internationalen Organisationen stationierten Nachrichtendienst-Offiziere bewegt sich international weiterhin auf überproportional hohem Niveau. Der „Gastgeber“ Österreich wird allenthalben geschätzt für seine Kooperation. Dennoch: Wien ist in diesem Spiel kein großer Player. Kann und will es auch nicht sein. Österreich ist auf dem Feld der Spionageabwehr nur „bedingt abwehrbereit“. Die Disproportionalität zwischen den einheimischen Abwehrbeamten und den hier agierenden Nachrichtenbeschaffern und Operateuren besteht unvermindert weiter.

Die Anzahl der in Österreich tätigen ausländischen Agenten ist den österreichischen Behörden nur dann bekannt, wenn es sich um offiziell akkreditierte Mitarbeiter solcher Behörden handelt. Veröffentlicht werden solche Zahlen nicht. Insider schätzen die Zahl der Nachrichtendienst(ND)-Mitarbeiter auf 2.000 bis 3.000 Personen. Dies inkludiert auch den nicht offiziellen Anteil solcher Strukturen. Offiziell akkreditierte ND-Mitarbeiter, z.B. an bilateralen Botschaften, genießen auch den Schutz der Genfer Konvention und haben somit diplomatischen Status. Solche Mitarbeiter werden schlicht „Verbindungsbeamte“ und derartig eingerichtete Büros Legal-Residenturen genannt. Sie haben die Aufgabe, offizielle Kontakte und auch den Informationsaustausch mit den heimischen Behörden aufrechtzuerhalten. Dieser Informationsaustausch findet seine rechtliche Deckung im Sicherheitspolizeigesetz und für die militärischen Dienststellen im Militärbefugnisgesetz. Der meist wöchentliche, schriftliche Informationsaustausch in Form von Lagebildern, aber auch schlicht Anfragen und die Rückäußerung zu personen- und sachbezogenen Informationen können als Routine nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit bezeichnet werden. Offizielle Verbindungsbeamte von ausländischen Nachrichtendiensten werden in aller Regel nur im Ausnahmefall in (unfreundliche) Spionageaktivitäten innerhalb eines Gastlandes involviert.

Die aktuellen Debatten über die NSA-Aktivitäten in Europa lassen den Schluss zu, dass diese nur die Spitze des nachrichtendienstlichen Eisbergs bilden. Registriert sind ja nur die sogenannten Legal-Residenturen – die der Russen, der Amerikaner, der Briten, der Franzosen, der Deutschen, der Italiener etc. Viele derer Aktivitäten bewegen sich ohnehin in Grauzonen. Informationsbeschaffungs-Personal agiert indes auch in Konzernen, Luftfahrtgesellschaften, Medien und in der Telekommunikationsbranche. Die Verbindungsbeamten der großen Botschaften kommunizieren mit den österreichischen Behörden auf dem „internationalen Dienstweg“ jenseits parlamentarischer und anderer Kontrollmechanismen.

Das Thema Spionage oder die Durchführung komplexerer nachrichtendienstlicher Operationen in Gastländern – so auch in Österreich – werden abseits offiziell akkreditierter Strukturen praktiziert. Das kann die verdeckte Einreise einzelner Auftragsträger oder ganzer Teams bedeuten. Ziele sind die in Wien ansässigen internationalen Organisationen oder bestimmte Personen, die zu solchen Konferenzen anreisen, Operationsbesprechungen mit befreundeten ausländischen Partnern oder schlicht das Anwerben und/oder Abschöpfen von Personen aus Politik, Wirtschaft oder aus dem Bankensektor. Im Wesentlichen geht es immer um die Gewinnung von Informationen. Das auch mit Methoden, die unser Strafrecht als Nötigung, Erpressung oder Rufschädigung bezeichnen würde. Der Einsatz von Medien ist die beliebteste Waffe nachrichtendienstlicher Operationsbegleitung.

Diese Fälle kommen jedoch aus unterschiedlichen Gründen nie zur Anzeige und bleiben auch den zuständigen Behörden verborgen. Das Wesen solcher Operationen ist letztlich jedoch nicht nur die Informationsgewinnung, sondern auch die Anwendung solcher Informationen, um dem jeweiligen Auftraggeber einen handfesten Vorteil zu verschaffen. Das Abhören von Kommunikation, der Diebstahl von Betriebsgeheimnissen, die Drohung gegenüber Banken und Finanzinstitutionen, die Erpressung von exportabhängigen Unternehmen oder die simple Ausnutzung mitteilungsbedürftiger Träger öffentlicher Ämter. Das sind die täglichen Methoden nachrichtendienstlicher Arbeit ausländischer Geheimdienste, auch und vor allem, in Österreich. Zeit und ressourcenintensive Spionageabwehr als Prävention für Wirtschaft und Politik findet nur im Ausnahmefall statt.

Die Entwicklung, vor allem der digitalen Möglichkeiten der Dienste nach 9/11 bis zum heutigen Tag, haben die dargestellten klassischen Spionageansätze zugunsten breit aufgestellter technischer Lösungen in den Hintergrund treten lassen. Informationen werden heute – und zwar nicht nur von US-Diensten – von Kommunikationsknoten – mit und ohne Wissen der betroffenen Nutzer, oft auch der Provider – abgeschöpft. Die Auswertung solcher Metadaten erfolgt automatisiert über Algorithmen, also hinterlegter Interessenprofile. Auf dieser Grundlage wird der anschließende Einsatz von Human Resources – wie der Einsatz von Spionen heute genannt wird – punktgenauer und effizienter.

Das von allen politischen Seiten zum Credo der Sicherheitspolitik erhobene Ziel der Terrorismusbekämpfung bietet zwölf Jahre nach 9/11 einen bisher nie dagewesenen Deckmantel für nachrichtendienstliche Aktivitäten und Operationen ausländischer Nachrichtendienste.

Die Ursache, warum solche und ähnliche Ansätze in Österreich bis heute politisch und strafrechtlich ungewürdigt geblieben sind, hat handfeste Gründe:

  • Mit der Aufdeckung oder Unterbindung solcher Operationen geht für politisch Verantwortliche, aber auch für Spitzenbeamte ein nicht kalkulierbares Risiko einher. Man hat für solche ambitionierte Vorhaben auch den Begriff einer „career ending mission“ geprägt.
  • Ein diesbezügliches Aufklärungsinteresse seitens der heimischen Nachrichtendienste ist auch deshalb nicht gegeben, da dem Bundesministerium für Inneres (BM.I) als Sicherheitsbehörde schlicht der „Anfangsverdacht“ fehlt und den beiden militärischen Diensten (im nachgeordneten Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport <BMLVS>) ein Mandat, im Inland zu agieren, einfach fehlt.
  • Die plausibelste Erklärung für ein allerseits fehlendes Aufklärungsinteresse liegt wohl darin, dass über Jahrzehnte hindurch Kooperationen selbst forciert wurden, die anerkannte und offizielle österreichische Akteure schlicht als Mittäter ausländischer Spionageaktivitäten auf österreichischem Territorium brandmarken. Die 2013 teilweise öffentliche Diskussion um eine jahrzehntelang geführte Kooperation zwischen der NSA – dem technischen Geheimdienst der U.S – und dem österreichischen militärischen Nachrichtendienst ist dafür wohl bezeichnend.

Nebst der in Österreich fehlenden Ernsthaftigkeit in der Androhung und Umsetzung strafrechtlicher Spionage-Tatbestände (siehe weiter unten), gibt es noch einen weiteren, scheinbar banalen Grund, warum Österreich und vor allem Wien seinen Ruf als Spionage-Hauptstadt weltweit behaupten kann: Wien gilt als Traumdestination für jeden Spion. Dies wird deutlich, wenn man auf die vorangegangenen Karriereschritte der in Wien offiziell stationierten „Spione“ blickt. Nicht selten kommen die Leute aus Verwendungen, die deutlich unruhiger waren, wie Afghanistan, Irak oder aus anderen Krisenregionen. Oder es handelt sich um eine Versetzung nach Wien, um dort dem bevorstehenden verdienten Ruhestand als Spion entgegenzusehen.